Hidden Champions im Asset Management – Nachhaltigkeit und Engagement
Interview mit Dr. Sandra Derissen
Im Interview mit Dr. Sandra Derissen, Head of Sustainability Analysis SHC, erfahren wir mehr über die Auswahlkriterien von Hidden Champions und den Umgang von avesco mit Kontroversen. Außerdem geht sie darauf ein, wie avesco Engagement-Prozesse umsetzt.
Dr. Sandra Derissen
Head of Sustainability Analaysis SHC
Als Volkswirtin und Biologin promovierte Dr. Sandra Derissen im Bereich Umwelt- & Ressourcenökonomie sowie Umweltethik in Wien und Kiel. Anschließend übernahm sie die Auflage eines nachhaltigen Fonds in Zusammenarbeit mit der GLS Bank. Seit 2019 ist sie als Senior-Analystin und Leiterin des Nachhaltigkeitsteams bei avesco. Ihre Kernverantwortung sind die Analyse der Hidden Champions und die Weiterentwicklung der avesco-Nachhaltigkeitsmethode.
Frau Dr. Derissen, Sie leiten den Fachbereich Nachhaltigkeitsanalyse bei der avesco Sustainable Finance AG. Was genau ist die Aufgabe Ihres Teams?
Dr. Sandra Derissen: Wir haben drei Hauptaufgaben. Zunächst einmal die Identifikation und Prüfung von neuen nachhaltigen Hidden Champions. Dazu haben wir eine avesco-interne Nachhaltigkeitsmethode entwickelt. Seit 2015 prüfen wir unsere Unternehmen selbst und entscheiden nach der Prüfung über die Aufnahme in den avesco Sustainable Hidden Champions Equity Fonds. Zum Zweiten sind wir für das Monitoring unserer Unternehmen verantwortlich. Treten Kontroversen auf, entscheiden wir neu über den Verbleib der Unternehmen im Fonds. Zum Dritten setzen wir uns mit aktuellen Entwicklungen im Nachhaltigkeitsbereich auseinander. Dies betrifft neue Regularien, beispielsweise die Offenlegungsverordnung.
Hidden Champions und Nachhaltigkeit – wie gut passt das zusammen?
Das passt sehr gut zusammen. Bei den Hidden Champions handelt es sich vorwiegend um Familienunternehmen, die auf einen langfristigen Unternehmenserfolg ausgerichtet sind. Es geht dabei weniger um die Erfüllung kurzfristiger Interessen von StakeholderInnen, sondern vielmehr um langfristige Stabilität. Der gute MitarbeiterInnen-Umgang geht mit der nachhaltigen Unternehmensführung von Hidden Champions-Unternehmen Hand in Hand. Auch ökologisch haben Hidden Champions einiges zu bieten, leider stellt noch nicht jeder Hidden Champion diese Informationen bereit bzw. ist es schwierig an Daten oder Ratings zu kommen.
Die Datenverfügbarkeit stellt sich derzeit also noch schwierig dar, was Hidden Champions betrifft?
Genau, viele der Hidden Champions-Unternehmen haben schlichtweg nicht die Ressourcen für die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts. Da sich viele von ihnen unter der Grenze von 500 Mitarbeitenden befinden, ist die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts auch nicht verpflichtend. Kleine Marketingabteilungen können eine Aufbereitung nachhaltiger KPIs oftmals nicht stemmen. Bezüglich der Ratings kommt es auch häufig zu Rückfragen in Gesprächen mit Investorinnen und Investoren, da viele Datenanbieter die mittelständischen Hidden Champions nicht covern. Im Fall von avesco sind das 50-60 % der Portfoliounternehmen.
Was kann man in solch einem Fall tun?
Auf avesco bezogen lässt sich sagen, dass wir versuchen hier möglichst frühzeitig mit den Unternehmen in Kontakt zu treten, um von ihnen selbst die Daten zu bekommen, welche wir benötigen. Außerdem recherchieren wir genau und sammeln selbst möglichst viele Daten, um diese Lücken zu schließen.
Kommen wir zum Thema Engagement, wie wird dieses bei Ihnen umgesetzt?
Aktuell gehen wir ins Engagement, wenn Kontroversen auftreten, wenn also ein Portfoliounternehmen durch Kontroversen in der Presse auffällig wird. Was mittelfristig wichtiger bei uns werden sollte, ist ein proaktives Engagement. Was wir im Übrigen auch machen, ist, dass wir auf InvestorInnen-Veranstaltungen gehen und diese Plattformen nutzen, um nicht nur die Finanzkennzahlen abzufragen, sondern auch, um nach Kennzahlen aus den Bereichen Ökologie und Soziales zu fragen.
Wie reagieren Hidden Champions allgemein auf Impulse, die ihnen gegeben werden?
Es gibt viele Hidden Champions, die innerhalb eines Gesprächs sehr viel nachfragen und interessiert sind. Mir fällt hier ein Unternehmen speziell ein, welches enorm viele Fragen zum Thema Stakeholder Engagement hatte. Unser Gesprächspartner fragte dann auch direkt: „Können Sie uns bitte nochmal erklären, was Stakeholder sind?“. Hierbei wurde uns bewusst, wie gut es ist, dass wir solcherlei Impulse liefern und ansprechen, denn tatsächlich ist es häufig so bei den Hidden Champions, dass die „Nachhaltigkeits-Terminologie“ noch nicht so bekannt ist.
Haben Sie auch Erfolgserlebnisse zu verzeichnen?
Ja, wir hatten tatsächlich bereits häufiger den Fall, dass uns ein Hidden Champion fragte, ob wir den nächsten Nachhaltigkeitsbericht gegenlesen würden, um Tipps zu geben und quasi zu überprüfen, ob jetzt auch „wirklich alles drinsteht“. Oder allgemeinere Anfragen, was bei einer nachhaltigeren Berichterstattung wichtig ist und beachtet werden sollte. Das hat uns sehr gefreut.
Gab es auch schon einmal einen Misserfolg zu verzeichnen?
Ja, auch das gab es bereits. In 2020 hatten wir das Fallbeispiel eines Divestments. Hier sind wir konkret auf ein Unternehmen zugegangen und haben nachgefragt, inwieweit die Dividendenpolitik mit dem Abbau von Arbeitsplätzen d‘accord geht. Die Antwort war stark vereinfacht ausgedrückt: Bisher hätte sich niemand beschwert und wir wären die Ersten, die danach fragen würden – man würde darauf zurückkommen. Es kam aber keine weitere Reaktion, das Unternehmen hielt weiter an der Dividendenpolitik fest – und wir entschieden uns, zu deinvestieren.
Wo sehen Sie Chancen und wo Grenzen von Engagement?
Grundsätzlich sind unsere Möglichkeiten begrenzt, denn avesco ist keine reine Engagement-Initiative. Es gibt eine Menge solcher Initiativen und NGOs, die hier extrem engagiert sind: WWF, CRIC, der Dachverband der kritischen Aktionäre, Urgewalt und viele mehr. Das sind die großen Initiativen und Treiber von so einem Wandel. Ich würde sagen, dass unser Engagement eher punktuell ist: Bei unseren Unternehmen, wo wir konkret ansetzen und gezielt Tipps geben können und so zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.
Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung: November 2021 auf der Plattform Citywire