Nachhaltigkeit in der Geldanlage, Regulatorik und die Entwicklung des Finanzmarktes
Gesa Vögle ist Geschäftsführerin des CRIC — einem Verein „zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage“. Zuvor war sie über sieben Jahre beim FNG tätig – einem Fachverband für nachhaltige Geldanlagen, der hauptsächlich die Anbieterseite repräsentiert. |
Liebe Gesa, als Geschäftsführerin des CRIC ist es dir ein Anliegen, Nachhaltigkeit in der Geldanlage zu fördern. Im Vergleich zu den Anfangstagen der CRIC – was hat sich getan?
Bei CRIC habe ich Mitte 2017 angefangen. Das war die Zeit, in der gerade der Zwischenbericht der High-Level Expert Group on Sustainable Finance der EU vorgelegt worden ist und intensiv diskutiert wurde. Zwischenzeitlich hat sich, vor allem was politische Entwicklungen und die Diskussion und Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit betrifft, unheimlich viel getan.
Bezüglich Nachhaltigkeit sind die Entwicklungen leider nicht so positiv. Weder mit Blick auf den Klimawandel noch auf die fortschreitende Naturzerstörung ist es seit 2017 gelungen, substanzielle Verbesserungen zu erreichen – in vielen Fällen gibt es sogar Verschlechterungen. Dies trifft ebenso auf den sozialen Bereich zu. Die Ungleichheit hat sowohl weltweit als auch in einzelnen Ländern – auch bedingt durch die Corona-Krise – in den letzten Jahren weiter zugenommen.
Sustainable Finance soll natürlich gerade zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, also helfen, substantielle Fortschritte in ökologischer und sozialer Hinsicht zu erreichen. Ob und inwiefern hier bereits ein Beitrag geleistet werden konnte und geleistet wird, ist die große und aus meiner Sicht bis dato weitgehend offene Frage.
Was denkst du: In welchen Bereichen kann Informationsarbeit Positives bewirken und wo ist die Politik gefragt?
Mit Blick auf einen nachhaltigen Finanzmarkt – und nach meiner Überzeugung in den meisten anderen Bereichen ebenso – ist ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und Akteure auf unterschiedlichen Ebenen wichtig. Will heißen: Wir brauchen Information und Aufklärung, freiwillige Maßnahmen und Initiativen und zugleich eine öffentliche Hand, die einen zeitgemäßen und zukunftsorientierten Regulierungsrahmen bietet. CRIC hat sich beispielsweise für ein Lieferkettengesetz stark gemacht. Sicherlich sind auch weitere Maßnahmen mit Blick auf einen lenkungswirksamen CO2-Preis wichtig. Auch die Pestizidabgabe, die diskutiert wird, ist aus meiner Sicht im Sinne der Internalisierung der externen Effekte, wie es in der Volkswirtschaftslehre ausgedrückt wird, richtig. Wer der Umwelt schadet, muss auch die Kosten tragen lautet das Prinzip. Hier besteht nach wie vor Regulierungsbedarf.
Informationsarbeit wird immer wichtig bleiben – trotz und weil wir es unter anderem mit dem Problem der Informationsüberflutung zu tun haben. Relevante, verständliche und leicht auffindbare Informationen bereit zu stellen, ist eine der wichtigen Aufgaben im Zusammenhang mit Transparenz über Nachhaltigkeit – unter anderem deshalb begrüße ich auch den Plan der EU, eine zentrale, kostenlose Datenbank zu Unternehmensinformationen aufzubauen. Diskutiert wird das Ganze unter dem Stichwort European Single Access Point.
Wir bei CRIC haben ein Angebot, bei dem wir nicht nur Informationen gebündelt darstellen, sondern auch versuchen, einordnen und verstehen zu helfen. Mit Blick auf Veranstaltungen haben wir den Anspruch, Themen und Fragen zu behandeln, die zu kurz kommen und einen Raum für kritische Reflexion zu bieten.
Offenlegungsverordung, Taxonomieverordnung, MiFID 2 – in diesem und dem nächsten Jahr kommt einiges auf den Finanzmarkt zu. Was denkst du erreichen die neuen Regularien?
Ich denke zunächst, dass bereits sehr viel erreicht worden ist. Allein was ich höre von den verschiedenen Akteuren aus dem Finanzmarkt: Niemand kommt mehr darum herum, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Es befassen sich nicht mehr nur ausschließlich Nachhaltigkeitsfachleute in den Unternehmen mit dem Thema. Vielmehr müssen sich nun zunehmend alle Abteilungen inklusive der Führungsebene mit Nachhaltigkeitsfragen befassen. Insofern hat die Regulierung aus Brüssel schon jetzt gewirkt.
Natürlich ist der Aufwand, der durch die genannten Verordnungen und Direktiven entstanden ist, enorm. Vieles muss sich noch einspielen und zudem gibt es – insbesondere mit Blick auf die Offenlegungsverordnung – Nachbesserungsbedarf. Der Aufwand kann sich für die Unternehmen und Finanzmarktakteure insofern auszahlen, als er ihnen hilft, sich nachhaltig und damit zukunftsfest aufzustellen.
Bei der Taxonomie sind aktuell außerdem noch viele Fragen ungeklärt: Was konkret werden die Ankündigungen der EU-Kommission zum Thema Transition Finance bedeuten? Wann und wie wird sie sich verbindlich für eine soziale Taxonomie aussprechen? Auch die Möglichkeit, dass Kernkraft als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit aufgenommen wird, ist noch nicht vom Tisch.
Grundsätzlich ist das Wirkungspotenzial aller drei genannten Regulierungen aus meiner Sicht hoch. Bei der Offenlegungsverordnung denke ich hierbei insbesondere an die Berichtsanforderungen zu den nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen. Die Taxonomie kann tatsächlich eine Lenkungswirkung entfalten – ob dies gelingt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Aber ich bin hier vorsichtig optimistisch. Beispielsweise weiß ich von Vermögensverwaltern, die bereits jetzt in Gesprächen mit Unternehmen deutlich machen, dass es für sie von großer Bedeutung ist, dass hier Fortschritte gemacht werden.
Mit Blick auf MiFID 2, also in diesem Kontext die verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen im Finanz-Beratungsgespräch, die ab Herbst 2022 verpflichtend wird, bin ich ebenfalls optimistisch. Ob Nachhaltigkeit explizit abgefragt wird oder nicht, macht einen Unterschied und kann einen Schub für nachhaltige Geldanlagen in diesem Bereich auslösen. Allerdings gibt es hier insbesondere mit Blick auf die Weiterbildung der Finanzberater und Finanzberaterinnen noch viel zu tun.
Was sind die Pläne des Sustainable Finance Beirats für den deutschen Finanzmarkt?
Die Pläne sind sehr vielfältig und umfassen folgende Bereiche: einen verlässlichen Politikrahmen schaffen, die Berichterstattung integriert und zukunftsfähig aufstellen, Wissen zu Sustainable Finance aufbauen, nachhaltige Finanzprodukte fördern und den Prozess der Umsetzung institutionell verstetigen. Insgesamt 31 konkrete Maßnahmen schlägt der Beirat vor, darunter beispielsweise die Entwicklung eines ESG-Klassifikationssystems für alle Finanzprodukte.
CRIC begrüßt die Empfehlungen grundsätzlich und hat sie außerdem kommentiert. Beispielsweise hätten wir uns einen stärkeren Akzent in den Bereichen Biodiversität, Digitales, Menschenrechte sowie mit Blick auf die internationale Dimension gewünscht.
Mittlerweile liegt auch die Sustainable Finance-Strategie der Bundesregierung vor – vieles ist hier übernommen worden. Einiges aber auch nicht – was sicher auch zu erwarten war. Das Wichtigste und Zentrale ist, dass es nun überhaupt solch eine Strategie gibt, auf der sich aufbauen lässt. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Bundesregierung insbesondere die soziale Dimension von Sustainable Finance betont. Dennoch ist die Strategie in weiten Teilen vage formuliert und summa summarum eher enttäuschend. Ganz konkret wäre es aus Sicht von CRIC beispielsweise wichtig gewesen, wenn die Empfehlung 31 des Beirats aufgenommen worden wäre, in der Maßnahmen enthalten sind, um Engagement in Deutschland zu fördern. Hier gibt es noch viel ungenutztes Potenzial. CRIC hat zu dem Thema auch unlängst übrigens einen Sammelband veröffentlicht.
Und welche Vorgaben wird die EU noch machen? Kommen noch weitere Verordnungen oder Richtlinien aus dem Green Deal auf den Markt und Finanzakteure zu?
Der Green Deal ist die Toppriorität der Kommission von der Leyen und betrifft die Bereiche Klima, Landwirtschaft, Industrie, Umwelt und Ozeane, Verkehr, Finanzen und regionale Entwicklung sowie Forschung und Innovation. EU-Strategien und Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind sehr vielfältig und umfangreich. Exemplarisch möchte ich das „Fit for 55“-Paket der EU nennen, das kürzlich verabschiedet wurde und mit dem die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 statt um 40 Prozent um 55 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990 reduziert werden sollen.
Mit Blick auf den Finanzmarkt sind insbesondere die erneuerte Sustainable Finance-Strategie und der Entwurf einer Revision der CSR-Richtlinie zu nennen.
Wo siehst du Chancen dieser Regularien?
Wirklich etwas in Sachen ökologisch-sozialer Transformation zu bewegen. Das Zeug dazu hat der Green Deal grundsätzlich.
Wo denkst du liegen die Herausforderungen?
Die Herausforderungen liegen aus meiner Sicht in erster Linie in der Umsetzung. Was auf dem Papier gut aussieht, passiert nicht automatisch in der Realität. Nehmen wir als Beispiel die Biodiversitätsstrategie der EU: Demnach sollen bis 2030 knapp ein Drittel an Land und Meeresgebieten unter Naturschutz gestellt, der Anteil biologischer Landwirtschaft auf mindestens 25 Prozent erhöht, der Rückgang von Bestäubern beendet bzw. umgekehrt, der Gebrauch von Pestiziden um 50 Prozent gesenkt, europäische Flüsse über eine Strecke von mindestens 25.000 Kilometern renaturiert und drei Milliarden Bäume gepflanzt werden. Dies tatsächlich zu schaffen – und es handelt sich ja hier nur um einen Teilaspekt des Green Deal – ist allein schon eine Mammutaufgabe.
Anfang Juli erschien die erneuerte Sustainable Finance-Strategie der EU. Welche Neuerungen gibt es?
Die Strategie enthält eine Vielzahl vor allem kleinerer Einzelmaßnahmen, bekräftigt bereits Feststehendes, kündigt Prüfungen an und setzt aber auch neue Akzente.
So soll das Potenzial der Digitalisierung stärker einbezogen werden, KMU und Privatanleger und Privatanlegerinnen werden explizit adressiert, Fragen der institutionellen und systemischen Resilienz spielen eine Rolle und auch das Thema Biodiversität hat Einzug gehalten. Auch möchte sich die EU stärker international für Sustainable Finance engagieren. Zudem hat die EU-Kommission erkannt, dass sie mit Blick auf die Herausforderung des Greenwashing nachbessern muss.
Aktuell in Arbeit sind, abgesehen von Umsetzungen über delegierte Rechtsakte, aber eigentlich nur zwei Gesetzesinitiativen: einmal die Revision der CSR-Richtlinie, die jetzt Corporate Sustainable Disclosure Directive (CSRD) heißt, und der Regulierungsvorschlag für den EU Green Bond-Standard.
Was bedeutet das konkret für Asset Manager?
Vieles wird sich hier noch zeigen. Neue Standards, etwa eine mögliche Methodik für ESG-Benchmarks, werden relevant sein.
Insbesondere die angekündigten Mindeststandards für Finanzprodukte, die ökologische und/oder soziale Merkmale bewerben (Artikel 8-Produkte nach der Offenlegungsverordnung), sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
Von Seiten der Aufsichtsbehörden ist zu erwarten, dass sie das Thema Greenwashing stärker im Auge haben werden. Aber auch hier gibt es bislang eher nur allgemeinere Ankündigungen.
Und für Finanzintermediäre oder andere Akteure des Finanzmarktes?
Unter anderem werden auf Banken, Versicherungen und Kredit-Ratingagenturen neue Anforderungen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Risiko-Management zukommen.
Wie steht CRIC zu diesen Erneuerungen?
Vieles ist sinnvoll und begrüßenswert – bei einigen Punkten bin ich skeptisch, etwa was den Bereich Transition Finance betrifft. Die Gefahr besteht hier darin, dass in die Taxonomie viele Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden, die allgemein nicht als nachhaltig wahrgenommen werden. Die Glaubwürdigkeit der Taxonomie könnte Schaden nehmen. Hier hängt viel von der Ausgestaltung ab. In der Strategie selbst ist eine mögliche Ausstiegsklausel erwähnt.
Positiv hervorzuheben ist beispielsweise, dass zum Thema Engagement und Stewardship etwas enthalten ist. Eine Revision der Aktionärsrechterichtlinie könnte einiges bewegen. Auch in dem angekündigten Vorschlag zum Thema Corporate Sustainable Governance, in dessen Rahmen unter anderem Maßnahmen zur Verknüpfung von Vergütung und Nachhaltigkeitszielen oder auch zur Verankerung von Nachhaltigkeit in Leitungsgremien zu erwarten wären, steckt einiges an Potenzial.
Wie siehst du die Rolle der PrivatinvestorInnen in Hinblick darauf, Nachhaltigkeit immer mehr im Finanzsektor zu verankern?
Im Abschlussbericht der High-Level-Expert Group on Sustainable Finance, der Anfang 2018 veröffentlicht wurde, beziffert diese den Anteil des Vermögens in der EU, der den privaten Haushalten zuzurechnen ist, auf 40 Prozent. Hieran wird deutlich, dass es nicht möglich sein wird, die Finanzströme in Richtung der Ziele des Green Deal umzulenken, ohne dieses Segment mit einzubeziehen.
Für Privatanlegerinnen und Privatanleger selbst ist es wichtig, dass ihnen möglichst umfänglich die Vorteile, die Sustainable Finance bietet, zugänglich gemacht werden. Außerdem brauchen sie eine qualitativ hochwertige Beratung, die sich an ihren Interessen orientiert.
Politisch betrachtet sehe ich außerdem folgenden Hebel: Idealerweise profitieren die Menschen auch finanziell von Infrastrukturmaßnahmen, die mit Blick auf den Klimawandel und Umweltzerstörung nötig sind. Hier ist noch Kreativität gefragt – auch digitale Lösungen können hier einen Beitrag leisten.
Ganz allgemein: Was denkst du, wird sich in den kommenden Jahren ändern? Wo gibt es Entwicklungspotenzial?
Ganz allgemein besteht die Herausforderung darin, wirklich innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu wirtschaften und auf Grundlage von ethischen Normen, die beispielsweise in internationalen Verträgen und Konventionen festgelegt sind. Das gilt für die Real- wie auch die Finanzwirtschaft. Und davon sind wir noch sehr weit entfernt.
Besonderes und im Kontext von Sustainable Finance bislang wenig genutztes Potenzial sehe ich, neben den Privatanlegern und Privatanlegerinnen, in der Entwicklungszusammenarbeit, bei Kleinen und mittlere Unternehmen (KMU) und in der Regionalisierung von Sustainable Finance.
Die ökologischen und sozialen Herausforderungen können nur global gelöst werden. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass die EU in der erneuerten Sustainable Finance-Strategie ankündigt, eine Fachgruppe einzusetzen, die Empfehlungen in Hinblick auf Sustainable Finance in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen ausarbeiten soll. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den Vorschlag des Unternehmers Martin Schoeller und des Journalisten Daniel Schönwitz im von beiden 2020 veröffentlichten Buch AFRIKA FIRST! Die Agenda für eine gemeinsame Zukunft verweisen, Afrika-Bonds in Europa aufzulegen. Dieser konkrete Vorschlag verdient es aus meiner Sicht, breit diskutiert zu werden.
KMU sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. 23 Millionen KMU gibt es laut Kommission in der EU. Ohne sie können die Nachhaltigkeitsziele der EU nicht erreicht werden. Von daher ist es richtig, dass die EU hier Maßnahmen als notwendig erachtet und dabei unter anderem auf die Möglichkeiten digitaler Lösungen setzen möchte. Grundsätzlich gilt: Sustainable Finance muss in die Regionen getragen werden.
Vielen Dank für das Interview!