Interview mit Dr. Sandra Derissen: Wie steht avesco zu Engagement?

Nachhaltigkeit und vor allem Engagement lässt sich gut in reaktives und proaktives Handeln unterteilen. Wie wir bei avesco unterscheiden, wo wir bei unseren Portfoliounternehmen innerhalb des SHC Fonds aktiv werden und wieso es auch schon zu Divestments kam – darum dreht sich dieses Expertinnen-Interview mit Dr. Sandra Derissen, Senior Analystin und Teamleiterin Nachhaltigkeit bei avesco.

  1. Dr. Derissen, Initiativen rund um das Thema Engagement werden immer präsenter. Wie steht avesco zu Engagement?

Engagement ist uns definitiv sehr wichtig und wir denken, dass dieses bei uns noch weiter proaktiv ausgebaut werden könnte. Ich persönlich würde im Rahmen des Sustainable Hidden Champions Aktienfonds mit meinem Team sehr gerne viel mehr machen, es ist jedoch eine Zeit- und Personalfrage. Aktuell gehen wir ins Engagement, wenn Kontroversen auftreten, wenn also ein Portfoliounternehmen durch Kontroversen in der Presse auffällig wird. Das ist aber eher ein reaktives Engagement. Was mittelfristig wichtiger bei uns werden sollte ist ein proaktives Engagement. Das bedeutet auch aktiv nachzufragen bei den Unternehmen, z.B.: „Wie haben sie ihre Nachhaltigkeitsziele erreicht? Haben sie sich neue Ziele gesetzt?“. Durch die Analysen sehen wir ja auch immer genau, wo es noch Potenziale in den Unternehmen gäbe, diese Punkte könnten wir uns notieren und festlegen, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt nochmals nachfragen.
Manchmal ist es auch wichtiger solcherlei Fragen zu stellen, als tatsächlich eine Antwort zu erwarten, weil das ein Signal an die Unternehmen sendet, dass es eben kritische Nachfragen geben kann. Was wir schon erlebt haben: Manche Unternehmen freuen sich z.B., wenn sie merken, dass ihr Nachhaltigkeitsbericht wirklich gelesen wird.

  1. Wie werden Sie und Ihr Team sonst noch aktiv?

Was wir im Übrigen auch machen, ist, dass wir auf InvestorInnen-Veranstaltungen gehen und diese Plattformen nutzen, um nicht nur die Finanzkennzahlen abzufragen, sondern auch nach Kennzahlen aus den Bereichen Ökologie und Soziales zu fragen. Das rief früher immer Erstaunen hervor, inzwischen wird es für die Unternehmen jedoch immer gewöhnlicher und entsprechende Daten liegen meistens parat.
Was auch dazu gehört, ist, dass wir durch unsere Schnittstelle zwischen Unternehmen und Rating Agenturen und in dieser Sparringssituation, in der wir uns (zwischen Bewertungen und dem Dialog mit den Unternehmen) sehr oft befinden, mitbekommen, was die Unternehmen für Daten liefern sollten. Da können wir unseren Portfoliounternehmen weiterhelfen und im Rahmen eines Engagementprozesses proaktiv auf die Unternehmen zugehen und sagen: „Wenn ihr in diesem Bereich hier noch transparenter agiert, dann werden eure Bewertungen besser ausfallen“.

Im Blickpunkt: Nachhaltigkeits-Ratings für Small und Mid Cap Unternehmen

  1. Das spannende Thema Ratings – wie offen sind die Portfoliounternehmen hier für Impulse?

Das fällt meistens auf dankbare Ohren. Derzeit schreibt auch eine Masterandin ihre Masterarbeit bei uns über die Anforderungen verschiedener Ratinganbieter. Wir arbeiten in dem Zuge heraus, was die jeweils wichtigsten Kernpunkte sind. Diese Informationen wollen wir unseren Portfoliounternehmen dann auch zu Verfügung stellen. Als wir den Unternehmen davon erzählt haben, waren die Reaktionen gemischt: Es gab Hidden Champions welche sehr dankbar reagiert haben. Wir hatten aber z.B. auch ein Unternehmen dabei, welches derzeit keinen so hohen Free Float an Aktien hat, da hieß es: „Wenn wir jetzt noch weitere Verbesserungen umsetzen und somit noch mehr potenzielle InvestorInnen anziehen, dann müssten wir eine weitere Kapitalerhöhung durchführen, darauf sind wir derzeit gar nicht eingestellt“.

  1. Gab es bzgl. Ihrer Engagement-Aktivitäten ganz allgemein schon das ein oder andere Erfolgserlebnis zu verbuchen?

Ja, wir hatten tatsächlich bereits häufiger den Fall, dass uns ein Hidden Champion fragte, ob wir den nächsten Nachhaltigkeitsbericht gegenlesen würden, um Tipps zu geben und quasi zu überprüfen, ob jetzt auch „wirklich alles drinsteht“. Oder allgemeinere Anfragen, was bei einer nachhaltigeren Berichterstattung wichtig ist und beachtet werden sollte. Das hat uns sehr gefreut.
Auch bzgl. des Themas Ratings sind wir im Austausch mit den Unternehmen, denn oftmals ist den Hidden Champions unklar, welche Ratinganbieter auf eine Anfrage hin ein Unternehmen raten und welche Anbieter lediglich selbst selektierte Firmen durch Ratings bewerten – hier profitieren wir wechselseitig vom Austausch.
Außerdem stoßen unsere Indikatoren zur Messung von Nachhaltigkeit häufig auf das Interesse der Unternehmen. Letztens erst war ein Hidden Champion an unseren Stoffstromanalysen interessiert, auf Nachfrage sendeten wir diesem eine Vorlage zu – wir würden uns natürlich freuen, wenn das Unternehmen seine Material- und Energieflüsse künftig visualisiert und letztendlich optimiert.

  1. Wie reagieren die Sustainable Hidden Champions allgemein auf Impulse, die Sie ihnen liefern?

Ganz unterschiedlich. Es gab Hidden Champions die innerhalb des Gesprächs sehr viel nachgefragt haben und interessiert waren. Mir fällt hier ein Unternehmen speziell ein, welches enorm viele Fragen zum Thema Stakeholder Engagement hatte. Unser Gesprächspartner fragte dann auch direkt: „Können sie uns bitte nochmal erklären, was Stakeholder sind?“. Hierbei wurde uns bewusst, wie gut es ist, dass wir solcherlei Impulse liefern und ansprechen, denn tatsächlich ist es häufig so bei den Hidden Champions, dass die „Nachhaltigkeits-Terminologie” noch nicht so bekannt ist. Die Unternehmen sind in ihren Kennzahlen und darin was unternehmerisch wichtig ist grandios aufgestellt, aber beim Thema Nachhaltigkeit sind viele noch nicht sattelfest. Häufig kommt das auch erst in den Gesprächen zutage und unsere Gesprächspartner sagen dann: „Ach so, aber das machen wir doch“, weil sie vorab nicht einordnen konnten, was wir da abgefragt haben – aufgrund eines unbekannten Begriffes. Ich würde schon sagen, da sind die Hidden Champions sehr interessiert und freuen sich, Dinge mitzuhören. Das Positivbeispiel mit dem Nachhaltigkeitsbericht hatten wir auch bei zwei anderen Unternehmen: Einmal fragte mich die Ansprechpartnerin ob wir im Dialog bleiben können was den Bericht angeht. Bei einem anderen Hidden Champion hatten wir 2-3 Sachen angemerkt, die im Nachhaltigkeitsbericht nicht sehr transparent waren. Das Unternehmen reagierte dankbar und sagte: „Danke für den Hinweis, das machen wir nächstes Mal anders“.

Beratungsgespräch

  1. Gab es auch schon einmal einen Misserfolg zu verzeichnen?

Ja, auch das gab es bereits. Wir hatten einen Hidden Champion in der Analyse, wo spürbar wurde, dass dieser eher wenig involviert war in unseren Prozess. Konkret haben wir festgestellt, dass zwar alle Fragen beantwortet wurden, aber mehr mit der Hoffnung, dass „es schnell vorbei“ ist. Wir fragen auch nach der Analyse immer noch einmal nach, wie das Unternehmen den Prozess empfunden hat oder ob wir Bildmaterial bekommen könnten, da gab es auch keinerlei Rückmeldung mehr. Wir wussten allerdings auch, dass dieses Unternehmen ein größeres, etablierteres Unternehmen mitsamt eines eigenen Nachhaltigkeitsteams sowie einer ganz eigenen Strategie ist. Unternehmen solcher Größenordnung sind i.d.R. dann auch weniger offen.
Letztes Jahr hatten wir auch das Fallbeispiel eines Divestments. Hier sind wir konkret auf ein Unternehmen zugegangen und haben nachgefragt, inwieweit die Dividendenpolitik mit dem Abbau von Arbeitsplätzen d‘accord geht. Die Antwort war stark vereinfacht ausgedrückt: Bisher hätte sich niemand beschwert und wir wären die Ersten die danach fragen würden – man würde darauf zurückkommen. Es kam aber keine weitere Reaktion, das Unternehmen hielt weiter an der Dividendenpolitik fest – und wir entschieden uns, zu deinvestieren.

  1. Gibt es ein weiteres Beispiel für solch eine Kontroverse mit einem Portfoliounternehmen?

Ja, vor einiger Zeit haben wir ein Portfoliounternehmen erneut analysiert (das geschieht bei uns alle zwei Jahre automatisch für jedes der Unternehmen im SHC-Fonds). Es kommt dabei häufig vor, dass wir einige knifflige Fragen bzgl. der Lieferketten und Zulieferer stellen müssen. Konkret ging es hier um einen Zulieferer von Kupfer aus Mexiko, der bereits negativ in der Presse aufgefallen war. Denn in der Vergangenheit kam es zu einem Dammbruch in der Kupfermine mit verheerenden Folgen für die Umwelt und Menschen vor Ort. Außerdem plante unser Hidden Champion eine Kooperation mit einem anderen Unternehmen in Norwegen, um dort Kupfer abbauen zu können, eine entsprechende Absichtserklärung war bereits unterzeichnet – von dieser traten allerdings beide Unternehmen zurück, als offenkundig wurde, dass Teile der samischen Urbevölkerung sowie die Umwelt negativ von dem Vorhaben beeinflusst werden würden, wodurch sich diese Kontroverse vorerst beruhigt hat.
Wir fragen in unseren Gesprächen konkret nach, wieso z.B. bestimmte Zulieferer weiterhin unter Vertrag genommen werden oder bestimmte Vorhaben geplant werden – wohlwissend, dass wir hinterher auf Basis der Antworten eventuell deinvestieren werden.

  1. Unterstützen Sie auch Initiativen die Firmen dazu bewegen wollen nachhaltiger zu agieren?

Ja, vor allem das sogenannte Carbon Disclosure Project (heute Discosure Insight Action). Wir haben hier drei ausgewählte Portfoliounternehmen im Namen von CDP angeschrieben und diese aufgefordert, nach CDP zu berichten. Von zwei Unternehmen haben wir nun auch erfahren, dass diese dem Aufruf nachgekommen sind und nach CDP berichtet haben.
Ansonsten sind wir Mitglied bei Venga e.v., bei der Bundesinitiative für Impact Investing und beim FNG sind wir natürlich Mitglied. Wir haben außerdem auch bei einer einmaligen Initiative von CDP mitgemacht. Hier haben wir die Aufforderung unterschrieben, dass Unternehmen nach den Science Based Targets berichten sollten. Die Science Based Target ist eine Initiative, die Firmen dazu auffordert, sich selber konkret messbare Ziele zu geben, z.B. im Rahmen von CO2-Intensität. Ob die Hidden Champions das allerdings auch umsetzen werden bleibt abzuwarten, immerhin hat jedes Unternehmen seine eigenen Standards und Formate.

  1. Wo sehen Sie Chancen und wo Grenzen von Engagement?

Also grundsätzlich sind unsere Möglichkeiten begrenzt, denn avesco ist keine reine Engagement-Initiative. Es gibt eine Menge solcher Initiativen und NGOs, die hier extrem engagiert sind: WWF, CRIC, der Dachverband der kritischen Aktionäre, Urgewalt und viele mehr. Das sind die großen Initiativen und Treiber von so einem Wandel. Ich würde sagen unser Engagement ist eher punktuell: Bei unseren Unternehmen, wo wir konkret ansetzen und gezielt Tipps geben können und so zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.